Ingeborg ist mit 94 Jahren meine älteste Freundin. Wir lernten uns vor über 35 Jahren auf einer Südamerika-Reise kennen. Trotz unseres Altersunterschieds hat es zwischen uns sofort „gefunkt“. Sie nennt mich ihre „jüngste“ Freundin.

Wie jedes Jahr telefonierten wir auch zu Weihnachten und Neujahr. Ingeborg meinte, sie würde ihren 95-zigsten Geburtstag Anfang März 2021 nicht mehr erleben. Auch hatte sie Schwierigkeiten die richtigen Worte zu finden. Nach dem frühen Tod meiner Mutter wurde Ingeborg für mich zu einem Stück Heimat, zu einem Anker, zu einer Person, bei der ich mich geborgen und angenommen fühlte. Inzwischen fand ich weitere Heimaten (für mich bedeutet Heimat Menschen, kein Ort).

Ich fing an mir Sorgen zu machen und konnte mich vor allem – wegen der Corona-Pandemie – nicht daran erinnern, wann ich sie zum letzten Mal besucht hatte. Je mehr ich über ihren Zustand nachdachte, umso wichtiger wurde es mir, sie zu besuchen. Ich wollte mich „von ihr verabschieden“. Also beschloss ich, dass ich zu ihr fahren würde, nachdem ich meinen Sohn am Ferienende wieder zu seinem Vater gebracht hatte. Mit Ingeborg besprach ich, an welchem Tag ich kommen würde. Da sie nicht mehr so weit gehen kann und auch wegen der Pandemie, war das einfach. Einen Tag frei zu nehmen, ging für mich problemlos.

Vorbereitung des Besuchs

Da wir nicht wie üblich in einem Restaurant zu Mittag essen konnten, hatte ich am Tag vorher eine Gemüsesuppe gekocht. Leider fiel die Suppe schärfer aus als gewünscht, weil ich zu viel Chili hineingetan hatte. Mit einem Trick reduzierte ich dieses ein wenig und hoffte, dass die Suppe für Ingeborg nicht zu scharf sein würde.

Schon Tage vor der Fahrt hatte ich mich mit Freundinnen ausgetauscht, wie ich es wegen der Pandemie bei Ingeborg machen sollte – mit oder ohne Mund-Nasen-Schutz? Und wie beim Essen? Wie oft lüften? Hätte ich das nicht gemacht, wäre ich vermutlich ohne Maske zu Ingeborg, da ich vorab in eine 14-tägige, freiwillige Quarantäne gegangen bin. Allerdings wurde ich aufgeklärt, dass Covid-Symptome erst Wochen nach einer Infektion auftreten könnten. Ein:e Infizierte:r jedoch während der gesamten Zeit ansteckend wäre. Deshalb entschied ich mich, eine Gesichtsmaske zu tragen und diese nur zum Essen und Trinken abzunehmen. Außerdem wollte ich regelmäßig lüften.

Trotz des Wintereinbruchs waren die Straßen gut befahrbar. Der Lockdown sorgte für verhältnismäßig angenehmen Straßenverkehr. Auch mit bedecktem Gesicht fiel die Begrüßung wie immer sehr warmherzig aus. Das Tragen der Maske war kein Thema zwischen uns. Wozu auch… Ingeborg war erst kurz vorher aufgestanden und machte sich erst einmal einen Kaffee. Ich bemerkte, dass sie noch nicht ganz „da“ war, denn ihr fielen bestimmte Wörter nicht ein und sie war nicht so gesprächig, wie ich sie kannte. Im Großen und Ganzen entsprach es ihrem Verhalten am Telefon. Am Anfang tauschen wir uns jedes Mal über aktuelle Familienthemen und -besuche sowie ihren Garten aus. Auch hier fehlten ihr ab und zu Begriffe. Anschließend fuhren wir mit dem Auto zur Bank und zum Einkaufen. Denn zu Fuß schafft sie es nicht mehr, da der Weg zu weit ist. Der kleine Supermarkt im Ort liefert leider nicht nach Hause. So dauert es manchmal Wochen, bis sie wieder neue Lebensmittel – außer vom Tiefkühl-Lieferanten – erhält. Aus demselben Grund hatte sie zudem kaum noch Bargeld im Haus. Im Supermarkt überraschte sie mich, denn auch ohne Einkaufszettel wusste sie genau, was sie brauchte. Mir selbst gelingt das nie!

Endlich, das Wiedersehen mit Ingeborg

Senior mit Kopfhörern tanztTrotz des Wintereinbruchs waren die Straßen gut befahrbar. Der Lockdown sorgte für verhältnismäßig angenehmen Straßenverkehr. Auch mit bedecktem Gesicht fiel die Begrüßung wie immer sehr warmherzig aus. Das Tragen der Maske war kein Thema zwischen uns. Wozu auch… Ingeborg war erst kurz vorher aufgestanden und machte sich erst einmal einen Kaffee. Ich bemerkte, dass sie noch nicht ganz „da“ war, denn ihr fielen bestimmte Wörter nicht ein und sie war nicht so gesprächig, wie ich sie kannte. Im Großen und Ganzen entsprach es ihrem Verhalten am Telefon. Am Anfang tauschen wir uns jedes Mal über aktuelle Familienthemen und -besuche sowie ihren Garten aus. Auch hier fehlten ihr ab und zu Begriffe. Anschließend fuhren wir mit dem Auto zur Bank und zum Einkaufen. Denn zu Fuß schafft sie es nicht mehr, da der Weg zu weit ist. Der kleine Supermarkt im Ort liefert leider nicht nach Hause. So dauert es manchmal Wochen, bis sie wieder neue Lebensmittel – außer vom Tiefkühl-Lieferanten – erhält. Aus demselben Grund hatte sie zudem kaum noch Bargeld im Haus. Im Supermarkt überraschte sie mich, denn auch ohne Einkaufszettel wusste sie genau, was sie brauchte. Mir selbst gelingt das nie! Wieder zurück verstaute ich die zu kühlenden Lebensmittel im Kühlschrank. Die anderen Einkäufe verstaute Ingeborg. Sie wurde immer fitter. Dann erwärmte ich die Suppe und rührte noch gekaufte Sahne hinein, in der Hoffnung, dass dies zusätzlich Schärfe neutralisieren würde. Zum Glück schmeckte uns beiden die Suppe – mit etwas nachträglichem Salz. Gleich danach tranken wir einen Kaffee – mit Kuchen. Der gehört bei Ingeborg einfach dazu. Der Kaffee trug vermutlich dazu bei, dass sie noch munterer wurde. Bei meinen vorhergehenden Besuchen hatten wir immer Gesellschaftsspiele gemacht – manchmal schon morgens. Dieses Mal war das kein Thema. Ich sprach es nicht an, um sie nicht zu kompromittieren. Stattdessen erzählte Ingeborg, dass sie vor kurzem Schallplatten aussortiert hatte. Sie fragte mich, ob ich Interesse hätte. Da ich jedoch keinen Plattenspieler mehr besitze, musste ich verneinen. Und doch kannte ich noch einige der alten Hits. Und sie legte einige Platten auf. Früher gab es sogar schon Comedy auf Platten. Ich wusste nicht einmal, dass es vor ca. 40 Jahren überhaupt schon professionelle Komiker gab. Zu einigen Liedern tanzten wir sogar ein wenig. Ich merkte, dass es Ingeborg Spaß machte. Und tanzend hatte ich sie bisher noch nie erlebt. Leider wurde es aufgrund der Ausgangssperre ab 20 Uhr Zeit wieder aufzubrechen. Es war auch erkennbar, dass Ingeborg, die bei vorherigen Besuchen immer ein Mittagsschläfchen machte, allmählich eine „Pause“ brauchte. Mir tat es gut zu sehen, dass Ingeborg für ihr Alter nach einiger Zeit fitter und wacher wurde. Deshalb sprach ich nicht an, dass es eventuell unser letztes Wiedersehen gewesen sein könnte. Sondern ich entschied mich bewusst dafür, die Zeit bei und mit ihr zu genießen. Warum an traurige Themen denken, wenn die Zeit genossen werden kann. Beim Abschied umarmte ich sie wiederholt vorsichtig und versprach ihr, sie bald wieder zu besuchen.

Es kann so einfach sein

Ältere Menschen, die allein zu Hause wohnen, vermissen und brauchen Kontakte wie jeder Mensch. Im Vergleich zu den jüngeren sind sie – nicht nur während einer Pandemie – überwiegend nicht in der Lage, sich auf digitalem Weg mit Verwandten, Freunden:innen etc. auszutauschen. Abgesehen davon kann dies nicht dieselbe Qualität wie ein persönliches Treffen haben, bei dem eine Umarmung und oder anderer körperlicher Kontakt möglich ist.

Deshalb: Behaltet eure älteren Mitmenschen im Blick. Ein Lächeln, ein kurzes Gespräch oder Hilfe anbieten, kann einfach sein. Es erleichtert nicht nur das Leben unserer Mitmenschen, sondern erweist ihnen Wertschätzung und gibt Dankbarkeit zurück. Eine Win-Win-Situation für alle Beteiligen. Wer weiß, wann wir selbst uns darüber sehr freuen werden?

Wie geht´s weiter?

Ingeborg verstarb im April 2022. Ich hatte sie noch oft besucht und bin ihr unendlich danbkar, dass wir uns einen Teil unserer Leben begleitet haben.

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Aktualisiert am Mai 2022

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